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Vita Sammlungen Ausstellungen
Autoren:
- Dr. Julia Otto
- Dr. Katerina Vatsella
- Dr. Rainer Beßling
- Jörn Norden
- Dr. Frank Laukötter
- Carsten Ahrens
Dr. Julia Otto
Constantin Jaxy. Urbane Welten
Ausstellung im Bankhaus Hallbaum, Hannover
Eröffnung am 11. März 2015
Einführungsrede:
Dr. Julia Otto
Kunstmuseum Celle mit Sammlung Robert Simon
„Einst war die Stadt das Symbol einer ganzen Welt.
Heute ist die ganze Welt im Begriff, Stadt zu werden.“
Mit diesem Satz hat der amerikanische Architekturkritiker und Zivilisationsforscher Lewis Mumford den entscheidenden Kulturwandel unserer Zeit beschrieben. Hochrechnungen der UNO bestätigen: In wenigen Jahren wird mehr als die Hälfte der wachsenden Weltbevölkerung Stadtbewohner sein – bis 2050 rund 70% oder gut sechs Milliarden Menschen.
Vor diesem Hintergrund ist das, was der Künstler Constantin Jaxy macht, von mehr als nur ästhetischem Interesse. Jaxy erforscht „Urbane Welten“.
Wodurch zeichnet sich das Leben in Städten aus?
Mit welchen Spuren schreibt sich der städtische Mensch in die Welt ein?
Wie formt er sie, wie füllt er sie mit Bildern und Bedeutung?
Das sind Fragen, die Jaxy schon seit vielen Jahren intensiv beschäftigen. Seit seinem Kunststudium in Braunschweig und Den Haag zieht es den Bremer in Metropolen rund um die Welt: Rotterdam, Rom, Java, Shenjang, Lublin, Basel, Shenzen, New York und Seoul sind unter anderem Stationen für Lehraufträge, Stipendien, Auszeichnungen, Ausstellungen und private Reisen.
Dazu kommen virtuelle Fortbewegungsmittel: In den 80er Jahren schürft der Künstler sein Material noch aus Büchern, vorzugsweise aus opulenten Bildbänden über die technischen und architektonischen Meisterwerke der westlichen Moderne. Mittlerweile ist – man muss schon sagen: natürlich – das Internet dazu gekommen: Mit Google Earth und digitaler Bildersuche rauscht Jaxy auf der Pirsch nach neuen Fundstücken der Gegenwartszivilisation in Sekundenschnelle über den Globus.
Unabhängig davon, ob auf analogen oder digitalen Pfaden, das beweglichste an ihm sind Augen, Hand und Geist. In einer ähnlichen Haltung wie ein Archäologe, der vergangene Zivilisationen erforscht, scannt Jaxy die Gegenwart. Mit wachem Blick durchstreift er städtische Welten, unermüdlich auf der Suche nach signifikanten Bildern und Zeichen. Wo andere Stromleitungen und Kabel, Brücken und Tunnel, Propeller und Schiffschrauben sehen, entdeckt Jaxy urbane Hieroglyphen. Was er sieht, hält er fest. Skizzenbuch, Fotoapparat, Videokamera und Festplatte sind das minimalistische Instrumentarium seiner Feldforschungsexkursionen.
Sein Atelier hat Jaxy fernab der pulsierenden Metropolen, im beschaulichen Oyten, kurz vor den Toren Bremens. Hier macht er, was ein Wissenschaftler sich niemals erlauben dürfte – ein Künstler aber schon: Er löst seine Fundstücke aus ihrem Zusammenhang und unterwirft sie einem zeichnerischen Destillations- und Verwandlungsprozess. Während seine Forschungsobjekte oft aus raffiniert veredelten Hi Tech-Werkstoffen bestehen, sind seine Arbeitsmaterialien einfach, fast schon archaisch: Mit Kreide, Tusche, Graphit, Kohle und Papier – also im Prinzip: Stein und Holz – fertigt er seine Zeichnungen und Modelle.
Seine Arbeitsweise wirkt wie eine faszinierende Was-passiert-dann-Maschine: Er entfärbt und schwärzt, dreht, verzerrt und wendet, reduziert auf Konturen und Strukturen, verkleinert oder bläst auf, bügelt glatt, baut nach und durchleuchtet.
Werfen wir einen Blick auf die Ergebnisse dieses Prozesses: Hier im Raum und noch einmal in der oberen Etage sehen Sie unter anderem Porträts von tatsächlich existierenden oder geplanten Wolkenkratzern. Es sind Häuser wie Gebirge, 610 m, 828 m, gar über 1000 m hoch. Mit diesen futuristischen Türmen aus Stahl und Glas wetteifern Architekten, Städte und Nationen um die Trophäe des weltweit höchsten Gebäudes. Es sind Statussymbole im Ringen um die wirtschaftliche und politische Weltmacht.
Was macht nun Jaxy damit? Er lässt die Giganten auf bescheidene, fast menschliche Dimensionen zusammenschnurren. Auch wenn sie noch im Titel anklingt, urbane Pracht – „urban magnificence“ – strahlen sie nur noch in vergleichsweise homöopathischer Dosis aus: In der Verkleinerung wirken sie schmalbrüstig. Farbe, Glanz und Aura fehlen. Der Künstler hat ihre Gestalt auf Hell-Dunkel-Kontraste reduziert. Wie um noch einen drauf zu setzen, präsentiert er sie uns dann auch noch locker nebeneinander aufgereiht, fast wie Mäntel an der Garderobe.
Nach diesem Verwandlungsprozess bleibt nicht mehr viel von der imposanten architektonische Geste. Sie wird zum modischen Formenspiel, zur global funktionierenden ästhetischen Hülle und – zum Ausgangspunkt für neue Gedankenexperimente.
Diese führen den Künstler zum Beispiel dahin, sich vorzustellen und dann natürlich zu zeichnen, wie diese Türme, die bis in den Himmel reichen, eigentlich von dort oben betrachtet aussehen. Aus der Vogelperspektive gesehen werden aus den steil aufragenden Hausgebirgen überraschend pittoreske Flächenornamente. Auf die Ausdehnung ihrer Fundamente beschränkt und eingebunden in ein Netz von Grünanlagen oder Verkehrsadern, auf die zum Teil der dunkle Schatten des Gebäudes fällt, erinnern sie eher an Zellen auf dem Objektträger eines Mikroskops als an himmelstürmende Architektenträume.
Die Was-wäre-wenn-Experimente lassen sich noch weiter treiben – und in Jaxys Werken verfolgen. So findet sich der als 600-Meter-Turm geplante, aber nie gebaute „Chicago Spire“ nicht nur als mannshohes Porträt, sondern an anderer Stelle auch als schwarze Wandskulptur. Das kleine Holzmodell ist etwas schräg vor der Wand montiert und erinnert an eine startende Rakete. Das ist schon verblüffend: Durch Verkleinerung und Vereinfachung katapultiert uns der Künstler in immer größere Dimensionen. Wieder geht es um gebaute Visionen und noch einmal treffen wir auf ein Feld, auf dem bestehende, ehemalige und werdende Weltmächte um Führerschaft rangeln.
Nun steht diese kleine Wolkenkratzer-Rakete nicht für sich. Sie ist eingebunden in eine Sammlung weiterer Miniatur-Modelle von Fundsachen, die Jaxy beim Metropolen-Bummel aufgelesen hat. Wie ein bedeutungsvolles Begriffsfeld ballen sich die schwarzen Zeichen zu einer Informationswolke zusammen. Der Künstler nennt das Gebilde wie die virtuellen Datenspeicher „cloud“. Das Problem ist nur, wir können diesen Datenspeicher nicht ohne weiteres entschlüsseln. Wer den Künstler fragt, erhält Erklärungen: Dies ist eine Fischreuse aus dem Flugzeug betrachtet, dies eine Parkplatzsperre aus Mailand, dies die Lüftungsklappe, wie sie auf fast allen Großmarkthallen anzutreffen ist...
Doch der Ursprung des Objekts scheint hier kaum noch von Bedeutung. Es ist wie bei Schriftzeichen, deren Geschichte vor langer Zeit einmal mit dem Abbild eines Gegenstandes begann. Auch bei Jaxys Bildern und Objekten hat sich das Zeichen vom ursprünglich Bezeichneten gelöst. Was wir nun sehen, sind Strukturen und Prinzipien, die sich im Großen wie im Kleinen finden: Es sind Chiffren für Zuspitzung und Kreuzung, Winkel und Kurve, Ballung und Vernetzung.
Vor der weißen Wand arrangiert, können diese Zeichen für sich stehen. Im Feld ergänzen sich die durch Reduktion und Abstraktion verschlüsselten Elemente zu einem dreidimensionalen Alphabet des Urbanen.
Doch das Gedankenspiel kann noch weiter führen – und auch diese Metamorphoseschleife von Jaxys Fund-Verarbeitung ist in der oberen Etage zu entdecken. Dort montiert er seine Zeichen auf die Börsenkurse von New York Times und Financial Times aus den Jahren 2000 und 2003.
Zwischen diesen beiden Jahreszahlen liegt ein weltbewegendes Ereignis: die Zerstörung des World Trade Centers – und schon sind wir wieder beim Thema Wolkenkratzer. Auch auf den Zeitungsseiten geht es um Höhenrekorde und Macht. Das in den Zahlenkolonnen kodierte Phänomen kommentiert Jaxy nun mit seinen zeichnerischen Hieroglyphen: Hier rauscht ein Zug über eine Brücke, dort schwingt eine in sich geschlossene Endlosschleife, auf einem dritten Blatt führt der Blick in einen tiefen Tunnel. Der künstlerische Destillationsprozess offenbart an dieser Stelle seinen kritischen Charakter.
„Zeige mir, wie du baust, und ich sage dir, wer du bist.“ soll der Schriftsteller Christian Morgenstern einmal gesagt haben. Der Künstler Constantin Jaxy könnte entgegnen: „Schau dir meine Zeichen an und überlege dir, wo du dich befindest.“
Meine Damen und Herren, wo befinden wir uns? Wo sind die sechs Milliarden Stadtbewohner, von denen eingangs die Rede war? In Jaxys „Urbanen Welten“ zeigt sich kein einziger Mensch. Das ist symptomatisch für sein Thema: Zivilisationsphänomene scheint eine eigentümliche Selbststeuerung auszuzeichnen. Egal ob Architektur, Raumfahrt, Brückenbau oder Finanzwelt, sie folgen eigenen, funktionalen und in sich logischen Regeln. Wir Individuen existieren in diesen Systemen als Objekte, Benutzer oder Zweckerfüller, aber selten als Subjekte. Jaxys künstlerischer Zeichenkosmos löst die Elemente dieser Maschinerie aus ihrer Bedeutungs-Automatik. Das Entschlüsseln seiner Bilder und Objekte führt über Fragen nach dem Woher und Wohin zu neuem Eigensinn.
Wer sind denn die urbanen Spurenleger, die Stadtgestalter und Zeichensetzer – wer, wenn nicht wir?
Dr. Katerina Vatsella
Jaxys Werk ist vielgestaltig: er zeichnet, malt, druckt, stellt Objekte und Skulpturen her, realisiert Installationen. So unterschiedlich die Beschaffenheit der Werke, die dabei entstehen, sein mag - Zeichnungen, Drucke, Bilder, Objekte und Wandobjekte, Raumkonstruktionen, Schattenskulpturen, Licht-Klang-Installationen - so sind doch alle eng miteinander verwoben und jeweils Teile eines gesamtkünstlerischen Ausdrucks. Jede seiner Arbeiten scheint organisch aus einer anderen, schon bestehenden, gewachsen zu sein, jede besitzt Eigenschaften und weist Elemente auf, die sich in veränderter Form auch in seinen anderen Werken wiederfinden.
Energie, Dynamik, Bewegung: das sind solche Eigenschaften, die durchgängig sowohl in großformatigen als auch kleinen Arbeiten des Künstlers zu finden sind. Mit weitausladender Geste und schnellem Duktus setzt Constantin Jaxy Linien und Zeichen. Man spürt förmlich den körperlichen Einsatz, die Bewegung der Hand, die einen weiten Raum auseinanderzieht und in einer gedachten Drehung wieder zusammenkommen lässt.
Auch die kleineren Zeichnungen sind dynamisch bewegt und kontrastreich komponiert. In der Regel sind sie in Schwarz-Weiß und Grautönen gehalten, wobei das zentrale Motiv mit Kreide, Tusche, Graphit oder Acrylfarben, oft auch in Mischtechnik, auf das Bild gesetzt ist. Durch die Beschränkung auf Schwarz-Weiß-Töne erreichen auch die kleinsten Arbeiten eine beeindruckende Intensität und Kraft.
Was so gut wie alle Werke auszeichnet, ist ihre Affinität zum Technischen, zum Architektonischen und Konstruierten. Der Künstler ist in der Tat fasziniert von der Konstruktion - ob dies nun reale, gebaute Architektur ist, wie zum Beispiel eine Brücke, ein Stadion oder die Kuppel des Reichstages, ob es technische Gebilde sind, wie Kräne am Hafen oder eine Achterbahn, oder ob es das Verwirrspiel des überdehnten Schattenwurfs eines Baugerüstes ist, das in der Dynamik bühnnenbildartige Wirkung erreicht. In kontinuierlich geführten Skizzenbüchern, aber auch in unzähligen Fotos hält Jaxy solche Eindrücke und Bilder fest. Sie dienen ihm als unerschöpflicher Form- und Motivfundus, aus dem er völlig spontan das eine oder andere Element herausnimmt und zu einem neuen Bild, einem neuen Objekt oder einer neuen Lichtskulptur verwandelt, und das mit beeindruckender Phantasie, Experimentierfreudigkeit und Vitalität.
Dr. Rainer Beßling
Energieleitzentrale
BLG- Forum Überseestadt Bremen
2007
Es ist der passende Ort für die Kunst von Constantin Jaxy.
Zu ihren aktiven Zeiten lieferte die Energieleitzentrale in der Bremer Überseestadt Strom für Kräne und Hafenanlagen. Aus dem Kernstück eines Güterumschlagplatzes ist ein Kulturzentrum geworden, in dessen Architektur ein Kapitel Industriegeschichte und ein Teil Bremischer Identität aufgehoben sind.
Constantin Jaxy realisiert an diesem Schauplatz des Übergangs seine bislang größte Installation. Damit kehrt er an den Ort erster Prägungen zurück. In Hafennähe aufgewachsen, entdeckte der Künstler früh seine Vorliebe für Gerätschaften aus der Arbeitswelt und den industriellen Alltag, für Architektur und Stadtlandschaft. Die thematische Konzentration hat bis heute angehalten. Was gewöhnlich kaum auffällt, weil sich die Erscheinungsform im täglichem Umgang abgeschliffen hat, weckt sein besonderes Interesse. Er legt Verborgenes frei. Jaxys Grabungen bündeln sich zu einer Archäologie der industriellen Welt.
Einer der jüngsten Funde des Künstlers nimmt den Ausstellungstitel auf dem Vorsatzblatt des Katalogs wie ein Skorpion oder mit Krebs-Scheren in die Zange. Was hier schemenhaft zwischen kneifendem Tierkörper und Handwerkszeug auftritt, hat sich maskiert. Der Ringexpander greift nicht zu, sondern weitet. An der Schwelle vom Vertrauten zum Verblüffenden, vom Profanen zum Poetischen haben die Arbeiten von Constantin Jaxy ihren Platz.
Das Bizarre und Skurrile, das im Wortsinn Merkwürdige macht die Produkte menschlichen Erfindungs- und Entwicklungseifers für den Künstler attraktiv. Dabei weckt die Form, nicht die Funktion seine Aufmerksamkeit. Er erschließt aus den Konstrukten einen magischen Mehrwert, der unter seinen Händen und nach den Regeln der ästhetischen Gestalt sinnfällig wird. Die Sachlichkeit der Objekte wird in vitaler Anschauung gebrochen. Die Darstellung nimmt dem Betrachter die Illusion der Eindeutigkeit und öffnet das Phänomen einer assoziativen Annäherung.
Der lakonische Titel der Ausstellung beschreibt das Konzept der Präsentation:
„Objekte in 20 000 Kubik“. So groß ist das Volumen der Halle, und der ganze Raum wird bespielt.
An den Wänden, von der Decke herab, frei stehend und in Kabinetten versammelt dokumentieren die Exponate die Vielfalt von Constantin Jaxys Schaffen. In Malerei, Zeichnung, Objekten, Kartonschnitten und kinetischen Schatten porträtiert er die Dinge und erweckt sie zu neuem Leben. In seinem Raum greifenden Theater der Silhouetten gewinnen sie eine zweite Existenzform.
Constantin Jaxy sucht und findet seine Motive an verschiedenen Orten. Alte Bücher, Unternehmensgeschichten, Stadtchroniken, Werkbücher und Konstruktionspläne dienen ihm ebenso als Fundstätte wie Industriereviere und Metropolen in der ganzen Welt.
Auf seinen Wanderungen durch urbane Landschaften bevorzugt er Viertel, in denen sich die Zeugnisse des menschlichen Entwicklungseifers, der technischen Bewältigung des Lebens, des Warenverkehrs und der Wohnkultur beziehungsweise -unkultur geballt niedergeschlagen haben.
Das können verlassene Quartiere wie in ausgedienten Hafenstädten oder den Ballungszentren einer historisch gewordenen Industrialisierung sein. Ebenso aber zieht es ihn in Regionen eines entfesselten Neubaus wie in die explodierenden Megacities des Fernen Ostens, wo Planungs- und Bauwut aus kompromissloser Wachstumsorientierung die Sims-City-Virtualität Wirklichkeit werden lässt. Entstehung und Verfall reizen Jaxy gleichermaßen. Grundsätzlich hegt er eine Vorliebe für Zwischenzustände und Übergangsräume.
Fotos von einer Ausstellungssituation in Shenyang, das er im Rahmen eines Künstler-Austausches besuchte, zeigen Arbeiten, mit denen der Künstler den raschen Wandel reflektiert.
Mit dem Blick auf die Stadtpläne bereitet Jaxy seine urbanen Wanderungen häufig vor. Vorzugsweise sucht er Stellen, an denen die sichtbaren Stadtplanungsbemühungen in Gestalt geometrischer Ordnung auf organische Wucherungen stoßen, wo Diagonalen die Rechtecke kreuzen. Der Blick auf Autobahnkreuze zeigt, welche Formschönheit kontrastierende Konstruktionsprinzipien und Wachstumsverläufe schaffen können. Diese Reibungsflächen zwischen Möglichkeit und Machbarkeit, zwischen Plan und Chaos, zwischen Zivilisation und menschlicher Natur also interessieren den Künstler. Das Gebaute stellt sich hier wie Gewachsenes mit allen Unwägbarkeiten und Regelverstößen organischer Prozesse dar.
Auf diesen Passagen wird mancher Ort auch zum Schauplatz zeichenhafter Projektionen.
Im Stadtbild einer asiatischen Metropole spielen alte Männer an ihrem schlichten Altmetallverkaufsstand Karten, und der Schatten des Zeichens für das Alteisengewerbe fällt auf einen leeren Stuhl. Jaxy zeigt im fotografischen Fundstück: Man muss nur die entsprechende Perspektive einnehmen, um das Memento Mori im Alltag aufzulesen.
Das Bild einer Tunneleinfahrt nimmt dagegen das Tempo der Großstadt und die Fäden des urbanen Lebens auf. Der Künstler folgt hier den Verkehrsadern bis in den Untergrund hinein und hält die Schwelle zwischen dem Verborgenen und der Oberfläche, zwischen Dunkelheit und Licht, zwischen den versteckten Bahnen und der Haut der Metropole fest. Dabei nimmt er die Perspektive des Durcheilenden ein und hält ihm in dem Still zugleich den Spiegel vor Augen.
Magnetisch ziehen Constantin Jaxy auratische Orten und mit Bedeutung und Geschichte aufgeladene Monumente an. In seiner Arbeit „Lichtkäfig“ greift der Künstler die Krone und das weltberühmte Wahrzeichen einer gesellschaftlichen Vision auf, die eine reale Staatsverfassung legitimieren soll.
Die Flamme der Freiheitsstatue, ein Glas, das aus sich selbst heraus leuchtet, erscheint hier eingerüstet wie in einem Käfig. Die Sanierung der amerikanischen Statue of Liberty stellt sich in diesem abstrahierten Ausschnitt als Chiffre einer zu polit-propagandischen Zwecken in Geiselhaft genommenen Freiheitsutopie dar. Die Statue tritt noch in anderen Bildern Jaxys als gefangene Freiheit auf.
Gerüste, Türme, Brücken und Kräne gehören zu den bevorzugten Objekten Jaxys.
Diese offenen Konstruktion verweisen unmittelbar auf das Liniengerüst zurück, das ihnen zu Grunde liegt und diktieren dem Künstler die Übertragung in die Fläche geradezu in die Hand. In diesem Industriefachwerk beschreiben die Überkreuzungen, Verstrebungen und Verspannungen heikle Nahtstellen, die das komplexe Gebilde zusammen halten. Die Durchsichten ähneln Reisen in gedankliche Gespinste. Wo konstruktive Linien den Raum markieren, verfestigen sich Gedanken in Monumenten.
Jaxy vollzieht die Entwicklung und Entstehung aus der künstlerisch übersetzten Erscheinungsform des Objekts zurück und liest in den Konstrukten das ideelle Potential und dessen Schicksal.
Auch mit historischer Bedeutung besetzte Formen wie die Reichstagskuppel tauchen in den Zeichnungen Jaxys auf und zwingen den Betrachter durch Verzerrungen und Dehnungen in einen ungewohnten Blickwinkel. Das Format löst das Objekt aus seiner Ruhestellung. Wie in Anamorphosen, deren Inhalt nur von dem Betrachter entschlüsselt werden kann, müssen sie das passende Spiegelinstrumentarium aktivieren.
Für die Arbeit „Lichtzeitschleife“ diente als Vorlage ein Tischplanetarium aus Karton, das die Umlaufbahnen der Himmelskörper zeigt. Der Künstler hat eine Perspektive gewählt, die das planetare Schauspiel in Komplexität, Bewegung und harmonischer Balance zugleich zeigt. Klumpenartige Lichtpunkte repräsentieren die Planeten. Als „Lichtzeit“ gilt die Zeit, die das Licht von einem Planeten zur Erde braucht. Die malerische Darstellung des Modells repräsentiert die Reflexion der Objekte und vergegenständlicht die mit zunehmender Beobachtbarkeit und Messbarkeit belegte Vorstellung über Bewegungen außerhalb unserer unmittelbaren Anschauung. Die Laufbahnen der Planeten werden zu Streben eines verwickelten Gefüges von Linien, die Zeit als Bewegung im Raum greifbar protokollieren und die Konstellation der Körper plastisch als kosmischen Loop darstellen.
In dem großformatigen Blatt „Salz und Pfeffer“ spielt Jaxy mit der Verschiebung der Größenverhältnisse und rückt die an der Drehscheibe des globalen Güterverkehrs lagernden Rohstoffreservoirs nahe an die Lebenswelt des Verbrauchers heran. In der Schwebe zwischen aufgeblähtem Streuer-Set und miniaturisierten Öl-Tanks wird die Energie spürbar, die die Form bewegt und den Inhalt kennzeichnet. Wie in dieser ebnet in vielen anderen Arbeiten Jaxys das Verwirrspiel mit den Proportionen neue emotionale Zugänge zu fremd gewordenen Pfeilern industriegesellschaftlicher Organisation. In der Vitalisierung der Dinge durch Umformulierungen scheint ein menschlicher Faktor durch die abweisende Außenhülle der Industriebauten durch. Ob hier Entfremdung beklagt oder die Inbesitznahme der materiellen und ideellen Konstrukte für humane Zwecke eingeklagt wird, muss der Betrachter entscheiden. Constantin Jaxy stellt zur vielfältigen Ausdeutung lediglich das formale Instrumentarium und die Intensität der Anschauung bereit.
Neben weiteren Bremer Motiven wie Kränen, Bohrinsel oder einem Rad vom Freimarkt
sind in einem Kabinett sogenannte „Spurenelemente“ versammelt, die Constantin Jaxy plastisches Wörterbuch repräntieren. In diesen dreidimensionalen Wandobjekten lässt sich die Arbeitsweise des Künstlers am besten erkunden. Intuitiv und aus dem Reiz der ersten Begegnung heraus hält der Künstler seine Eindrücke meist in umrissartigen Zeichnungen fest. Es ist der kurze Augenblick der Begeisterung, die Sensation des Sehens selbst, die hier in der direktesten und einfachsten Übersetzung Gestalt findet. Der Künstler greift dabei Fragmente auf, isoliert die Dinge aus dem Kontext, reduziert und bündelt in grafischer Konzentration die Energie, die sich ihm in den Konstrukten mitteilt und dynamisiert durch Anschnitt und Format die ruhende Form. In den Kartonschnitten, die als plastische Standbilder an Filmstills erinnern, steckt das Herausschneiden aus einem zeitlichen Kontinuum, das die Imagination des Zusammenhangs aber wach hält, schon im Begriff.
In vielen Fällen besitzen die Spurenelemente die pointierte Einfachheit von Piktogrammen.
In diesen Kürzeln spiegelt sich dann das Tempo einer Wahrnehmung, das die Geschwindigkeit des zivilisierten Lebens und die Fülle der visuellen Eindrücke erfordern. Auf der anderen Seite finden sich Konstruktionen und verschlungene Strukturen, welche die Komplexität industrieller Güter und Architekturen, die Vielschichtigkeit ihrer Baupläne und Verwertungszusammenhänge in der Form tragen. Die Reduktion, die der Künstler in aller Regel vornimmt, scheint der Versuch zu sein, die Dinge wieder greifbar zu machen und einen emotional beherrschbaren Weg durch das Dickicht der Industriewelt zu schlagen.
Ein wichtiges Element dieser Konzentration ist die Beschränkung der Zeichnung auf Schwarz und Weiß. So wird der Blick auf das Wesentliche gebündelt. Keine Farbe als illustratives Moment soll von der Erzählung und poetische Weite ablenken, die dem Objekt selbst innewohnen.
In der Reduktion und Verkleinerung rücken die Konstrukte näher an uns heran und von ihrer technischen Bestimmung ab. Als verletzliche Skulpturen mit den berührenden Spuren eines Bastelvorgangs treten sie mit uns in einen geradezu intimen Dialog. In der Bewegung werfen sie Schatten an die Wand, die auf Spuren und Eindrücke verweisen, die die Dinge hinterlassen und auf eine Magie, die ihnen innewohnt.
An die Gestalt, die das zum festen Gefüge geronnene Konstrukt wieder öffnet, um die Möglichkeiten und Visionen, vielleicht auch das Scheitern der Konstruktion selbst mit sprechen zu lassen. Zwischen minimal und maximal, hell und dunkel, weiß und schwarz, plus und minus, vertikal und horizontal, glänzend und stumpf spannt Jaxy seine Fundstücke ein und lässt sie so aus ihrer Statik heraus in Zeitverläufe und Bedeutungsräume ausschwärmen.
In der Zeichnung protokolliert der Künstler nicht nur seine unmittelbare emotionale Gewichtung des Fundstücks mit, er gewinnt auch Abstand und passt die Wahrnehmung seinem Zeitmaß an. Zugleich kommt er seinem Grundtrieb nach haptischer Erkundung des Gegenstandes nach. In dieser Hinsicht vollzieht er in seinem Metier die Entstehungsgeschichte des Objekts als eines Werkstückes in gewisser Hinsicht nach.
Auch wenn die Arbeiten von Constantin Jaxy weite Bedeutungshöfe öffnen, arbeitet der Künstler doch mit elementaren Mitteln und aus dem Anstoß einer ursprünglichen und unmittelbaren Faszination heraus.
Die Impulse, und das macht die archaisch und anarchische Sinnlichkeit seiner Kunst aus, gehen direkt über das Auge und die Hand auf das Papier als Paralleluniversum. Die Gegenstände bewahren ihre Körperlichkeit, weder Ideen noch Interpretationen sind ihnen übergestülpt. Die Inhalte formieren sich erst allmählich im Gestaltungsprozess und Rezeptionsvorgang. Dabei verhindert der obsessive Sammeltrieb des Künstlers Stillstand. Die serielle Arbeit umkreist das Themenfeld, die Möglichkeit eines linearen Ausforschens des Gegenstands wird erst gar nicht in Erwägung gezogen. Ein Motiv stößt vielmehr das andere. Ein Interpret von Jaxys Kunst hat in diesem Zusammenhang auf ein Diktum Nietzsches verwiesen: Zwischen Subjekt und Objekt gibt es keine Kausalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern höchstens ein ästhetisches Verhalten, eine andeutende Übertragung, eine nachstammelnde Übersetzung in eine ganze fremde Sprache - eine Endlosschleife der künstlerischen Annäherung.
Auch mit seinem Schattenspiel, das vielfältige Assoziationen zu philosophischen Grundfragen weckt, bleibt Jaxy eng am Visuellen. Natürlich werden die Wahrnehmung, die Betrachterhaltung, das Verhältnis von Sein und Schein, die Spuren, die Seele der Dinge, ja vielleicht sogar die große Wahrheitsfrage hier mit formuliert. In erster Linie aber nimmt Jaxy die Schatten als Form gebendes dramatisches Element in seinem Silhouetten-Spiel mit.
In diesem Schattentheater wird auch das eigene künstlerische Tun kritisch reflektiert.
Welche Rolle das Abbild im Weltverständnis spielt, thematisiert er in einer frühen Arbeit, in der ein riesiger Schatten in Gestalt eines Elefanten auf das Zelt einer Bohrinsel fällt. Macht die Kunst aus einer Mücke einen Elefanten? Auch der „Geisterfahrer“ auf einem Blatt in der Ausstellung wirft die Frage auf, der sich von Zeit zu Zeit jeder Künstler angesichts wechselnder Herausforderungen durch die Wirklichkeit stellen sollte: In welche Richtung geht die Fahrt?
Jaxy selbst versteckt sich nicht hinter einem Konzept und versucht der Falle einer ästhetischen Überhöhung der Welt zu entgehen. Er hält engsten Kontakt zur Wirklichkeit und verweist auch den Betrachter auf höchstem ästhetischen Niveau auf dessen eigene Erfahrungswelt. Er setzt gegen schematisches Begreifen eine haptische Annäherung an die Vielfalt der Phänomene und hält so die Motivation der Erkundung und Spannung im Umgang mit den Dingen des Alltags wach. In der Einfachheit der Form könnte der Betrachter einen aktiven Platz in der zum fremden Objekt gewordenen Welt finden.
Jörn Norden
Kunstverein Husum 2010
Constantin Jaxy lebt und arbeitet seit 1989 in Oyten bei Bremen. Er kann auf eine unglaublich lange Liste von Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland zurückblicken. Wenn wir die Orte den fünf Kontinenten zuweisen, fehlt lediglich Australien. 1977-83 studierte Constantin Jaxy an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig bei Professor Malte Sartorius und beendete sein Studium als Meisterschüler. 1985 erhielt er ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für die Niederlande, wo er ein Jahr an der Königlichen Akademie Den Haag arbeitete. Es folgten zahlreiche Stipendien und Preise u.a. 1987 der Kunstpreis junger Westen für Handzeichnung, 1991 ein Stipendium der Casa Baldi, Olevano Romano, Italien, 1992 des Kunstfonds e.V. Bonn, 1997 der Große Preis der Internationalen Biennale für Zeichnung und Druckgrafik und 2009 ein Stipendium der Fondation Bartels in Basel. 2001 entstand das interdisziplinäre Projekt MERGE. Die Performance MERGE besteht aus Installationen kinetischer Schattenbilder von Constantin Jaxy, verbunden mit elektronischer Musik von Paul Goodman und Jos Janssen (Kanada, Niederlande), tänzerisch umgesetzt von dem Indonesier Martinus Miroto und seinem Tanzensemble. MERGE wurde 2001 auf Bühnen in Bandung, Jakarta, Yogjakarta und Surakarta aufgeführt.
2007 erfolgte ein Kulturaustausch Deutschland - China, auf Einladung der Luxun Academy of Fine Arts, in Shenyang. Viele seiner Werke sind in öffentlichem Besitz, auch im Besitz von großen privaten Firmen.
Als ich Constantin Jaxy und seiner Kunst 1991 das erste Mal begegnete, war ich erstaunt, dass ein junger deutscher Künstler seine Bildgegenstände ausschließlich der Welt der Technik entnimmt. Heute, rund 20 Jahre später, ist es nicht anders, nur dass der enorm produktive Künstler in dieser Zeit eine Art Paralleluniversum zur technischen Welt geschaffen hat. Er hat damit - jedenfalls in dieser Ausschließlichkeit - eine Alleinstellung unter den Künstlern.
Wenn man eine solche Behauptung aufstellt, muss man einen Moment innehalten, um sie zu überprüfen.
Was ist mit dem vor 2 Jahren verstorbenen Kurt Rudolf Hoffmann, Jahrgang 1923, der als Junge und junger Mann in Hamburg lebte, sich aber nach seinem Geburtsort „Sonderborg" nannte. Er begann mit breiten Pinselschwüngen und setzte Flecken und Spritzer dazu. Dieser spontanen gestischen Malerei fügte er Elemente hinzu, die das Ergebnis an Hochspannungsmasten, Hängebrücken, Waffen und große Transformatoren denken ließen. Eine umfassende Auseinandersetzung mit unserer technischen Umwelt kam damit jedoch nicht zustande, weil ihm wie fast allen informellen Künstlern der Bildgegenstand eher weniger wichtig war. So geht es bei ihm eher um Assoziationen zu technischen Gegen ständen.
Auch der 1935 geborene Konrad Klappheck malt technische Dinge. Er setzt sich jedoch nicht wirklich mit der technischen Welt auseinander, sondern nutzt die gemalten Gegenstände als Symbole für menschliche Eigenschaften, wie schon seine Bildtitel zeigen: „Weiblichkeit", „Supermann", „Die Sexbombe und ihr Begleiter" - oder es geht um die Kennzeichnung gesellschaftlicher Zustände, wie bei „Law and Order" und „Vergessene Helden" usw.
Für Jaxy ist der Bildgegenstand entscheidend wichtig. Es können die großen Anlagen und Konstruktionen sein, Fabriken , Verkehrsadern und Fahrzeuge, Bahnhöfe, Brücken, Achterbahnen, Gebäude, Werften, Häfen, Schiffe, Gaskessel, Parabolantennen, Industriehallen, Wassertanks usw., aber auch kleine und große technische Bauteile, wie z. B. die Scheibenwischer eines Autos oder der Propeller eines Schiffes.
Er findet seine Motive auf seinen Reisen und langen Auslandsaufenthalten überall in der Welt und sammelt sie mit Hilfe der Fotografie. Aber auch aus Büchern mit technischen Darstellungen entnimmt er Anregungen für seine Werke.
Es ist schon seltsam. Unsere selbst erschaffene Umwelt ist seit mindestens zwei Jahrhunderten in hohem Maße durch Technik geprägt: durch den Verkehr und seine Bauten, durch riesige Metropolen mit Anhäufungen menschlicher Behausungen und z. T. gigantischen Industriebauten auf engem Raum. All das kommt in der bildenden Kunst nur selten vor. Die Kunst reagiert hier bis heute weithin mit einer Flucht aus der Realität.
Max Liebermann, dem niemand nachsagen wird, er habe eine Vorliebe für Industriemotive gehabt, wurde sogar dafür heftig kritisiert, dass seine Bilder auch Menschen darstellen, die ihren Lebensunterhalt mit ihrer Hände Arbeit verdienen.
Technik, Verkehr, Großstadt werden von deutschen Künstlern und dem Publikum bis heute als Bildgegenstände meist nur in der Negation akzeptiert. Sie stellten eine „Bühne des Verhängnisses" (Höllerer) dar. Auch die Maler des Expressionismus, sowohl der „Brücke" als auch des „Blauen Reiter", die für die meisten Kunstfreunde ebenso wie für viele Kustoden in unseren Kunstmuseen noch immer, also ca. 100 Jahre nach ihren ersten großen Ausstellungen, den Gipfel an Modernität darstellen, haben auf ihren Blättern und Leinwänden nur eine formale, keinesfalls eine inhaltliche Revolution veranstaltet. Auch ihre Bilder bevorzugen als Motiv die Idylle.
Die thematische Ausblendung der Kennzeichen unserer modernen Welt hält in den Bildenden Künsten bis heute an.
Dieser Exkurs ins Historische scheint mir notwendig, um deutlich zu machen, dass wir in Constantin Jaxy jemanden vor uns haben, der sich durch die Thematik seiner Bilder und Objekte als ein Künstler erweist, der sich von dem in der Kunst sonst Üblichen und Gewohnten weit entfernt.
Jaxy wählt nicht technische Motive, um sie als Symbole für ganz anderes zu gebrauchen. Er stellt sie aber auch nicht etwa in fotorealistischer Manier dar oder in der Art und Weise technischer Zeichner. Er legt vielmehr frei, was in Technik neben aller Funktionalität auch vorhanden ist. Wir reagieren auf technische Gegenstände mit unserem Verstand aber auch oft sehr stark mit emotionalen Empfindungen. Diese Ambivalenz ist das eigentliche Thema Jaxys. Dr. Rainer Beßling hat es bei seiner Einführung in eine Jaxy-Ausstellung wie ich finde sehr gut auf den Punkt gebracht, wenn er sagte, Jaxy erschließe aus den technischen Konstrukten einen magischen Mehrwert, der unter seinen Händen und nach den Regeln der ästhetischen Gestalt sinnfällig werde. Wie findet diese Intention Eingang in die Zeichnung, in das Bild. Da ist der Entwurf des Bildes im Kopf. Jaxy bezieht den ungewohnten Blick auf den Gegenstand ein. Ruft selbst das zurück und verarbeitet, was der Künstler vielleicht nur im Vorbeigehen oder Vorbeifahren aus dem Augenwinkel erfasst hat. Wählt oft eine Position, die den Bildgegenstand in starker perspektivischer Verzerrung erscheinen lässt.
Man könnte versuchsweise formulieren, Jaxys Bilder hätten nicht allein Technik als realistischen Gegenstand zum Thema, sondern ebenso die Spuren, die Technik in unserer Psyche hinterlässt.
Sein zeichnerischer Gestus verbindet sich mit dem Gegenstand, rhythmisiert nicht nur die Bildfläche, sondern schafft Räume und lässt eigentlich Statisches dynamisch erscheinen. Durch die Wahl ungewohnter Perspektiven, durch Überdehnung, durch Verkürzung oder auch die Einbeziehung des Schattenwurfs bei der Darstellung der Gegenstände gibt der Künstler dem Auge des Betrachters viel zu tun. Dem Verstehen durch den Betrachter bieten seine Zeichnungen, Bilder, Grafiken und Objekte genug Anknüpfungspunkte. Es werden weder psychoanalytische Hilfen benötigt, um sie zu deuten, noch pflegt Jaxy die in der Kunst seit den 60er Jahren bis heute so beliebte Verschlüsselung durch eine private Mythologie.
Jaxy wertet in seiner Kunst nicht und überlässt es uns selbst, beide Gesichter der Technik wahrzunehmen, ihre oft atemberaubende Schönheit ebenso wie ihr Gefahrenpotential als Antipode des Natürlichen und Symbol für die Hybris des Menschen.
Bildtitel unterstützen diese Interpretation: Titel, wie „Aufklärer", „Unruh", „Windschatten" oder „Wolf, die scheinbar bekanntes und im Sinn feststehendes meinen, erhalten in ihrem Bezug zum Bildgegenstand eine poetische Umdeutung.
Jaxy Bildwelt ist konsequent schwarz-weiß, dennoch sind die Bilder oft nicht rein graphisch. Schwarze Linien stehen neben schwarzen Flächen. Weiße Linien und Flächen entstehen nicht ausschließlich durch den stehen gelassenen weißen Bildgrund, sondern sind teilweise mit weißer Tempera auf das Schwarze gesetzt. Das sind vorwiegend graphische Mittel, wenn auch mit dem größeren Fleck oder einer breitflächigen Pinselspur bereits die Randzonen zur Malerei erreicht sind. Auch der Bildgrund wird von ihm oft lebendig in Grautönen und eher malerisch gestaltet. Die von Jaxy dargestellte Technik erscheint wie mit Leben eingehaucht, vitalisiert. Der Eindruck von Bewegung, entsteht in seinen Arbeiten auch dadurch, dass sie die gestische Bewegung der zeichnenden Hand noch in sich bergen.
Dr. Frank Laukötter
Kunsthalle Bremen
>Kooperationen< 2005
MODUL B
„Modul B“ ist für die Künstler Jos Janssen und Constantin Jaxy „eine Symbiose aus elektro-akustischen und kinetisch-digitalen Elementen“. Ästhetiker oder Kunstkritiker ohne biologische Kenntnisse würden diese Symbiose als Synästhesie bezeichnen. Denn Jos Janssen gibt dem Hörsinn zu hören, während Constantin Jaxy dem Sehsinn zu sehen gibt. Die akustischen wie optischen Gaben werden zeitgleich (synchron) von den Wahrnehmenden (Ästheten) empfangen, die dadurch zu Vielwahrnehmenden (Synästheten) werden. Die Synästheten hören reduzierte, elektronisch komponierte Klänge und sehen bewegte, elektrisch erzeugte Schattenbilder.
Der Kreis als Motiv bzw. das Kreisen als Bewegungsmotiv für den Wechsel der Gerichtetheit von Ohren und Augen in Richtung der ausgesendeten Gaben eignen sich, die Synästhesie von „Modul B“ annäherungsweise zu fassen.
Akustisches und Optisches füllen das Volumen und die Volumengrenzen der Räumlichkeit, in der „Modul B“ installiert und in die „Modul B“ emittiert wird. Der Sound ist ein Surround-Sound. An jeder Wand steht je ein Lautsprecher. Die Schattenspiele sind über den Kreis des Gesichtes verteilt. Eines befindet sich auf einer Wand gegenüber einer Bank, die zum Verweilen und Vielwahrnehmen einlädt. Die anderen beiden sind auf die Wände links und rechts der Bank geworfen.
In zeitlicher Hinsicht kreist der Ton durch die ständigen Schleifen der Tonspur, sprich durch die Wiederholungen des Klangstückes. Das Kreisen ist auch die Bewegung, der jedes Schattenspiel folgt. Denn die schattenwerfenden Motive sind dadurch bewegte Motive, dass sie von Motoren gedreht werden, die sonst die runden Spiegel der Diskos betreiben. An deren sich drehende Welle sind die Motive montiert worden. Sie sind aus Holz und Pappen collagiert bzw. modelliert, mit Kleber fixiert und mit Mattlack geschwärzt und gestärkt.
Die Motive, die für die Schattenspiele das Licht absorbieren, statt wie Spiegel das Licht zu reflektieren, sind auch Synästhesien – und zwar in dem Sinn, dass sie als etwas Optisches auf etwas Akustisches verweisen. Das Motiv, das Constantin Jaxy „Sonitus“ betitelt, ist die Visualisierung von Tönen durch ein Diagramm von Balken. Die beiden weiteren Motive verweisen auf das Aussenden und Empfangen von Tönen. Das Motiv „Vocula“ ist ein Abbild eines zweidimensionalen Schnittes durch den Kehlkopf. Das Motiv „Conversio“ ist ein dreidimensionales Modell des schneckenförmigen Gehörinneren.
Die bewegten Schattenbilder von „Sonitus“, „Vocula“ und „Conversio“ von Constantin Jaxy begleitet das Klangstück von Jos Jansen, der durch die Schattenbilder inspiriert worden ist, so wie Constantin Jaxy zu „Sonitus“ durch ein Stück von Jos Janssen inspiriert worden ist. Dieses Nacheinander bei der Werkentstehung transformieren die Künstler in ein Ineinander bei der Werkaufführung. Die technische Synchronie von Bild- und Tonspur beim Film gibt ihnen die Möglichkeit, für „Modul B“ zu den Filmaufnahmen der Schattenbilder das Klangstück hinzuzuspielen. Der Film läuft auf zwei Monitoren, der Surround-Ton über die erwähnten Lautsprecher. So weitet sich der Kreis der vielen Wahrnehmungen räumlich wie zeitlich mehr und mehr aus. Die gegenwärtigen Schattenbilder auf den Wänden stehen neben den filmisch vergegenwärtigten auf den Monitoren. Die jüngere Installation in der Kunsthalle Bremen zeigt die gefilmte ältere Installation im Oytener Atelier. Und die Tonspur ist mittelalt oder –jung, jünger als die Bremer und älter als die Oytener Installation. Und statt aus Deutschland kommt die Tonspur aus den Niederlanden. Die Synästhesien von „Modul B“ bestehen folglich ebenso aus Synthesen von verschiedenen Räumen und Zeiten wie aus dem Zusammentreffen von Akustischem, Kinetischem
und Optischen.
Carsten Ahrens
>LICHT UND RAUM<, Elektrisches Licht in der Kunst des 20. Jahrhundert
Kapitel: IM LICHT DES LICHTS, Seite: 106/107
Wienand Verlag, 1998
Hrsg. Michael Schwarz
Auch Constantin Jaxy arbeitet mit der Projektionskraft der abbildenden Kraft des Lichts. Seine Schatteninstallationen setzen das Alltägliche auf einer unheimlichen Bühne der gespensterhaften Erscheinungen aus. Jaxy begann seinen künstlerischen Weg als Zeichner und Maler. Das ineinander verwobene Gefüge von Linien und die Verhältnisse von Licht und Schatten waren die bestimmenden Mittel seiner Bilder, die allein mit Schwarz, Grau und Weiß operierten. Thematisch kreist das Werk von Beginn an um die technischen Erfindungen des Menschen, mit denen er die Welt in den Griff zu nehmen versucht. Die in Stahl gegossenen Träume der Beherrschung der Welt, das Gitterwerk riesiger Brücken, das konstruktive Bänderwerk hoch aufgeschossener Kräne, die technoiden Kolosse des industriellen Zeitalters haben in seinen Arbeiten einen geheimnisvollen Auftritt.
Jaxy fasziniert das sichtbare konstruktive Skelett dieser Bauten, deren Liniengefüge er in seinen Arbeiten transformiert. Und in der Tat muten die Großprojekte der Ingenieurskunst in den perspektivischen Verzerrungen und dynamischen Hell-Dunkel-Kontrasten seiner Ansichten wie Protagonisten eines technoiden Welttheaters an. Riesige Stahlkolosse mutieren zu liebenswürdigen Fabelwesen oder unheimlichen Monstren, Giganten einer zunehmend versinkenden Welt des stählernen Fortschritts.
Als Jaxy begann, die konstruktiven Liniengefüge seiner Bilder in dreidimensionale Körper zu übersetzen, wurde das Licht zunehmend zum bestimmenden Moment seiner künstlerischen Versuchsanordnungen. Der Schattenwurf seiner aus Linien im Raum gebildeten Körper zeichnete ein zweidimensionales Bild auf die Wand. Erst im Zusammenspiel von realem Körper im Raum und Schattenbild fügte sich das: Werk als ganzes im Grenzbereich zwischen Realität und Vorstellung. Im Wechselspiel von Skulptur und Schatten entfaltete sich ein komplexes Spiel der Wahrnehmungs-, der Realitätsebenen. Ein Tanz der Linien im Licht- und Schattenreich eines inszenierten, Welttheaters, :das uns eine Archäologie der technischen Formen vorstellt. Mit spielerischem Witz und neugieriger Erfindungsgabe beleuchtet Jaxy seitdem das Geheimnis der Dinge.
Alltäglichste Gegenstände zwischen Mausefalle und Teesieb, zwischen Schere, Eierschneider und Zange verwandeln sich im Bild seiner Lichtprojektionen zu unheimlichen Gestalten, zu geheimnisvollen Schattenakteuren in einer Welt, die wir zu beherrschen glauben. In den ironischen Vexierspielen dieser lichten Schatten zeichnet Jaxy das Bild einer Welt zwischen Sein und Schein, untergräbt er unseren massiven Glauben an die Funktionsgefüge des Materiellen und entwirft eine Welt der Vorstellungen,
deren Gewicht als lichten Zauber garantiert.